Geboren wurde ich am 14. Februar 1961 in der Klinik Bethanien an der Cysatstrasse in Luzern. Meine Kindheitsjahre verbrachte ich in Uster, Sargans, Lausen und Liestal. Mit Uster verbinde ich keine Erinnerungen, mit Sargans das Schloss am Fuss des Gonzen, in und auf dem wir als Kinder wie grosse Feldherren herumstolzierten oder einander hinterher jagten. Allerlei Erinnerungen auch an den Kindergarten, streng geführt von Schwester Theresa, einer katholischen Ordensfrau. Und an den Pizol, auf dem ich meine ersten Skilaufversuche unternahm und ebenso die ersten fürchterlichen Stürze erfuhr. Der Umzug ins basellandschaftliche Lausen war vor allem dialekttechnisch eine Herausforderung. Als heimatberechtigter Zürcher – meine Eltern stammten beide aus dem Zürcher Oberland – mit Rheintalerakzent waren uns drei Kindern diese urchigen Baselbieter fremd und noch viel mehr wir ihnen. Man lernt eine Sprache oder einen Dialekt schnell, wenn Spott, Isolation und Diskriminierung drohen. So redete ich bis 20 „baaaselbieterdüüüütsch“. Ich hatte in jener Zeit viele Lehrerinnenwechsel und ging gerne zur Schule, ausser wenn wir vorsingen und geräteturnen mussten. In der dritten oder vierten Primarschulklasse war ich erstmals sehr verliebt. Sie hiess Jeannette und war die Schönste der ganzen Klasse. Einmal sind wir zusammen ins Freibad gegangen und haben uns das Badetuch geteilt. Ich war ansonsten eher scheu, konnte aber, wenn man mich entsprechend reizte, auch krass austeilen. Die Freude an Lernen, Lehrpersonen und Schulunterricht schwand mit der Pubertät. Die Progymnasium- und Gymnasiumjahre waren ein notwendiges Übel. Die Musik spielte anderswo. Zum Beispiel in der Musik. Den Klavierunterricht hatte ich zwar fallengelassen, aber im Hören etwa der frühen „Genesis“, das mehr ein Eintauchen in die mythische Welt der Storys von Peter Gabriel und Co. war, wurde ich heimisch. Ich hatte damals kein berufliches Ziel, fühlte mich in dem naturwissenschaftlich ausgerichteten Fächerkanon (C-Matur) ohnehin fehl am Platz. Ich besass weder Vaters Statur, des Lebens ernstes Führen, noch von Mütterchen die Frohnatur und die Lust zu fabulieren (frei nach J.W. Goethe). Eigenartigerweise hatte ich auch keinen Zugang zur Belletristik. Ich las zwar, aber nur Fachbücher von Adler, Freud und Jung, die ich mit meiner beschränkten Lebenserfahrung kaum angemessen verstand. Nach dem Abitur reiste ich für vier Monate nach Israel, mit einem Seesack und tausend Schweizerfranken. Aufenthalte im Kibbutz Ein HaMifratz, in Akko und Jerusalem und immer wieder in Dahab, am Golf von Akaba (damals noch israelischer Sinai-Streifen), lehrten mich Vieles – und doch nicht nachhaltig genug, um zurück in der kalten Schweiz so Tritt zu fassen, dass sich neue Perspektiven hätten öffnen können. Ich absolvierte die Rekrutenschule, verweigerte anschliessend weitere Dienste an der militärischen Landesverteidigung, nahm ein Studium an der Uni Basel in Slawistik, Germanistik und Ethnologie auf, ohne genau zu wissen wozu. Ich arbeitete als Hilfspfleger in der PUK (heute: UPK) Basel, als Knecht auf einem Hof in Seleute bei St. Ursanne im Jura und als Hilfskoch in der Casa Moscia im Tessin. Hier reifte, nach einer einschneidenden (Gottes-) Erfahrung der Entscheid, Theologie zu studieren und die alten Sprachen (Latein, Griechisch, Hebräisch) zu erlernen. Ich wurde überraschenderweise zum „studiosus“, eifrig und zielorientiert, wenn auch noch längst nicht ahnend, wohin es mich beruflich verschlägt. Dissertationsabsichten und Dozententätigkeiten in einem südamerikanischen Land zerschlugen sich wieder. Auch, weil ich heiratete und vor Studienabschluss Vater zweier Kinder wurde. Eine Teilzeitanstellung als „Jugendpfarrer“ in der reformierten Kirchgemeinde Zollikofen und ein Job-Sharing-Pfarramt in Oberdiessbach bei Konolfingen waren erste Stationen. Ich entdeckte die Systemtheorie, absolvierte Ausbildungen in Systemtherapie und wurde wenig später zum Paar- und Familienberater in Zofingen gewählt. Während jenen zehn Jahren hochengagierter Tätigkeit zerbrach meine eigene Ehe. Diese Erfahrung führte mich erst in eine grosse Lebenskrise und danach zu einem Neuanfang in Bern. Beruflich als Seelsorger im Inselspital, wo ich bis 2023 angestellt war. Es scheint, als hätte ich die Orte der menschlichen Abgründe (Beziehungskrisen, gesundheitliche und existentielle Krisen) aufgesucht, um meinen eigenen Abgründen auszuweichen und ihnen dann doch zu begegnen. «Ein Gedicht trifft mich dort, wo ich nicht schon bin», sagt Sandro Zanetti. Das Leben mit seinen Unwägbarkeiten tut es ebenso. Alles ist fragil und doch voller Optionen. Vieles ist eitel und doch auch darin Gutes und Schönes. Ich bin dankbar für meine beiden jüngeren Geschwister, die mich in vielen Dingen überflügeln. Für meine beiden Kinder, die längst ihre eigenen Wege gehen, und die mich über das, was aus ungeahnten Möglichkeiten wirklich wird, staunen lassen. Und inzwischen auch für meine beiden Enkelinnen Yara Lynn und Enya Valene, die beide auf je eigene Weise die Welt und mein Leben mit Vitalität und Originalität bereichern.
Foto: Seraina Stettler